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Kristian Kühn
Xoşewîst: Leipzigيّاt. Gedichte mit Glossar. München (hochroth München) 2020. 32 Seiten. 8,00 Euro.
laufen / springen [& ?] halten ihr glühweinglas
Manche der Leute fordern ja, dass es diese geweihte Nacht als Fest der Stille und Entflammen des neuen Lichts nicht mehr geben dürfe, weil Nichtgläubige wie Andersdenkende sich davon abgestoßen fühlen könnten. Zumindest ausgegrenzt. Vielleicht sogar diffamiert. Da käme womöglich dann beiderseitig hate speech auf, das Gegenteil der eigentlichen Absicht. Vielleicht müssten vorsorglich sämtliche Wintersonnenwendfeste der uns bekannten Kulturen gemeinsam gleichzeitig gefeiert werden. Eine Metawende. Sozusagen als Fest eines Lebensbaumes mit manchen Ästen, der nicht abstirbt, sondern sich nur – am finstersten physischen Punkt angelangt – zyklisch dreht und umspult. Das wäre dann auch was für die Fridays-For-Future-Bewegung. Und könnte man zudem die Genderfrage für ein möglicherweise zu erwartendes Lichtkind offenlassen, das geboren und aufgerichtet werden würde in so einer Nacht, symbolisch oder real in dieser geweihten Stille, wäre viel Streit aus dem Weg geräumt. Und würde man vor allem dann auch die heiligen drei Könige nicht mehr kommen lassen, wäre auch die Migrations- und Rassismus-Frage bereits geregelt oder zumindest auf eine sehr lange Bank geschoben. Wie gesagt, eigentlich bringen sie ja Geschenke mit, deshalb: ein Weihnachtsmarkt passt bestenfalls noch als offener Geschenkeshop (das „money mo“ der Rapper) in unsere winterlichen Gefilde.
Genau diesen Punkt greift ein bewusst sympathisches kleines Büchlein auf, das kürzlich bei hochroth München erschienen ist. Es ist ein Debüt und trägt den stolzen Titel „Leipzigيّاt“, enthält 12 Gedichte nebst rechtseitigen Glossaren für unterschiedlichste Sprachsprengsel in den Texten und ist von dem Aktivisten Xoşewîst, der – 1987 im syrischen Hasaka geboren – englische Literatur und Internationl Forced Migration an Universitäten wie Damaskus, Oxford, Halle und in Leipzig studierte, wo er schließlich hängenblieb und den Verein DOZ International (mit den derzeitigen Slogans „Alle Kinder haben das Recht, sicher zu leben und glücklich zu sein“ und „Sei der Grund für die Veränderung, die du in dieser Welt willst“ nebst Spendenaufrufen) gründete.
„Um den Kontext der Gedichte besser verstehen zu können“, heißt es zu Beginn der Broschüre, wurde für jeden der 12 Texte ein „Keyword-Glossar“ erstellt, welches „manchmal eine direkte Übersetzung und manchmal eine sinngemäße Entsprechung“ enthält.
„Es ermöglicht, sich in den Gedichten zu orientieren und sich übersetzend zu involvieren, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.“
Diese verheißungsvolle kurze Gebrauchsanweisung für Eigen-leistung ist dann auch wie eine solche (fast international) in fünf Sprachen abgedruckt, auf Deutsch, dann Kurdisch, Arabisch, Englisch und schließlich Spanisch.
Spanisch? Was vermögen Gedichte in Zeiten der Krise? Dieser allgemeinen, heutzutage von allen Seiten zunehmend gestellten Frage, begegnet der liebe Xoşewîst einerseits mit einer gewissen plumpen Aufdringlichkeit, zum anderen aber voller Charme und Verschmitztheit. Etwa so, in seiner fünfsprachig gesetzten Art:
Dies als Beispiel ist eine der vier Strophen des ersten Gedichts, das von Schmetterlingen symbolisch ausgeht. (Später wird es leichter, überschaubarer – aller Anfang ist schwer, also nicht verzagen!). Versuche ich es mit dem Glossar auf der rechten Seite zu dolmetschen, kommt für mich dabei heraus:
jagt sie mit Köcher und und Erinnerungen
sind sie schreiend und leidend
wenn Ululation im Echoraum mehr noch als heult
doch sei stolz und jage die Momente (oder: und die Jagd stirbt im Moment?)
So oder ähnlich – gewisse Vokabeln sind nicht abgedruckt im Glossar, dadurch bleibt an wichtigen Knotenpunkten der Semantik die Verständigung vorurteilsheftige Ansichtssache, und das scheint, logischerweise, beabsichtigt zu sein, nämlich Flucht und Leid, Rassismus, racial profiling wie ein Puzzlespiel zu konnotieren, bis es irgendwie den lesenden Verstand, auch das Gewissen, zufrieden stellt oder in Unruhe versetzt. Diese fünfsprachige Lyrik ist als Spiegel gedacht! Vielleicht als ein zerbrochener. Deshalb heißt der Titel der Broschüre auch, berück-sichtigt man rechterhand den arabischen Kringel: „Gehört zu Leipzig, passiert in Leipzig“ Eingedeutschter Humor im dritten Gedicht wäre:
„Scheiße ist, wenn man schätzt
eine Maus als einen Elefanten“
Oder
„confuse alle auch security service“
Wie man sieht, später kommt man mit Englischkenntnissen und dem Deutsch allein schon hin, zumal es um uns, ja unser Verhalten geht:
auf dem weihnachtsmarkt couples laufen
springen [arab. und] halten ihr glühweinglas
waffeln, musik, but spaß is [arab. wenn]
nur wenn man als paar etwas macht
Doch
mein german love missed a deadline
she forgot my weihnachtsgeschenk
even santa claus failed me tonight
a pure day aber all saints sind fake
Kein Weihnachtsgeschenk = / + deadline. Es wird wieder ernster zum Ende hin, und auch die arabischen Einschübe werden wieder häufiger:
heute [arab. ich] in deutschland
wo freiheit nicht auf papier ist
but freiheit [arab. auch] has some rules
bürger first ausländer to check list
Ja, es bleibt das Wichtigste dabei ganz Deutsch & Englisch für alle einsichtig:
tradition hat uns weh getan
treu mutige life stances sind
fuck cultural differences hoy
Ja
gleichberechtigung is global
Allen denen gern empfohlen, die mehrere Sprachen gleichzeitig lernen wollen und / oder auch Spaß am Entziffern und Puzzeln verschlüsselter Sinneinheiten haben oder sich beim eigenen eingeschriebenen versteckten Rassismus ertappen (lassen) wollen. Oder auch als Geschenk, wenn man jemand ärgern will, oder man selber als besonders witzig & modern gehalten werden möchte. In jedem Fall ist es für acht Euro (quasi mal eine Packung weniger Rauch!) den Spaß des Verblüffens wert.
Source: Siganturen Magazin